Im Gespräch mit Prof. Dr. Moritz Kebschull „Parodontologie – State of the art“

Am 02.04.2022 fand in München im Seminarzentrum der eazf die Fortbildung unter dem Motto „Im Gespräch mit ...“ statt. Es handelte sich um die erste Veranstaltung eines neu entwickelten Formats des Vereins Zukunft Prophylaxe e.V. . Ziel des neuen Formats ist es, ein Thema an einem Tag in der erforderlichen Tiefe von einem anerkannten Schwergewicht seiner Disziplin umfassend zu beleuchten.

Im Gespräch mit: Professor Dr. Moritz Kebschull

Der erste Vorsitzende des Vereins, Herr Dr. Friedrich W. Grelle ließ es sich nicht nehmen, in seinen einleitenden Worten eine umfassende Beleuchtung der „Kränkung“, berühmte Beispiele dafür und Lösungsstrategien im Umgang mit derselben zu präsentieren. So wie viele die neuen Richtlinien als eine Kränkung empfinden, da lange Tradiertes und Liebgewonnenes handstreichartig über Bord geworfen wird – wie auch bei der neuen PA Klassifikation. Oder vielleicht doch nicht?

Herr Professor Kebschull startete seinen Vortrag „Parodontologie – State-of-the-Art“ direkt medias in res. Nach wenigen klinischen und radiologischen Bildern widmete er sich der Frage, was nach dem Stand der Wissenschaft nun die Parodontitis verursacht. Der ursprüngliche Fokus auf einige wenige spezielle Keime wird durch eine ganzheitlichere Betrachtungsweise ersetzt. In einem vorhandenen Mikrobiom kann es durch das Hinzufügen von einigen wenigen pathogenen Keimen zu einer signifikanten Änderung im System kommen, der sogenannten Dysbiose. Um diese zu erkennen ist wohl eine Erfassung des gesamten Keimspektrums hilfreicher (16s Sequenzierung) als das bisher angewandte gezielte Suchen nach einzelnen Keimen mittels PCR.

Die Empfänglichkeit für eine PA gliedert sich in drei Faktoren, das genetische/epigenetische Risiko, systemische, bedingt veränderliche Risikofaktoren und schließlich veränderliche Risikofaktoren, wie etwa das Rauchen. In den bisherigen Studien findet sich keine Korrelation der PA mit bestimmten Genen, wohl aber mit Volkskrankheiten, wie dem Diabetes mellitus. Es folgte ein komplexes Pathogenesemodell, in welchem natürlich die pathogenen Keime, aber eben auch die pathologische Reaktion des Organismus eine zentrale Rolle spielen. In diesem Zusammenhang folgte die Vorstellung der neuen Klassifikation der Parodontitis, die – ähnlich der Einteilung eines Malignoms – Staging und Grading beinhaltet. Für die Klassifikation der Parodontitis ist neben einem pathophysiologisch korrekten Modell, die Progression in der Vergangenheit und in der Zukunft sowie die Berücksichtigung von Allgemeinerkrankungen relevant. Die seit Dezember 2020 geltenden Leitlinien zur Therapie wurden zusammen mit einem Stufenmodell vorgestellt. Herr Prof. Kebschull arbeitete den besonderen Status der S3 Leitlinien heraus, wo neben der Literatur die Interessen und Ansichten der Leitliniengruppen berücksichtigt werden.

Insgesamt wird die Parodontitis heute als eine Erkrankung mit multifaktorieller Genese verstanden. Der Referent bemühte den treffenden Vergleich mit einer Badewanne, welche mit den einzelnen Risikofaktoren sukzessive gefüllt wird. Hinzu kommen modifizierende Faktoren, wie etwa Stress, welche mitunter erheblich zum Füllstand beitragen können.

Neben den hinlänglich bekannten Therapiemöglichkeiten wurden Adjuvantien (adjuvanter Laser, PDT, Probiotika, CHX Spülung, lokale Antiseptika, lokale und systemische Antibiotika) im Spiegel der Leitlinien besprochen.

Eine Renaissance der chirurgischen Parodontitistherapie ist bei persistierenden tiefen Resttaschen zu verzeichnen. Auch die Problematik der Furkationen besonders im Oberkiefer wurden beleuchtet. Es folgte ein kurzer Ausflug in die chirurgische Parodontitistherapie mit dem Ziel der Taschenelimination einschließlich Vorstellung parodontalchirurgischer Instrumente. Einen zunehmend breiteren Raum nimmt die regenerative Chirurgie, einschließlich der Anwendung von Schmelzmatrixproteinen, ein. Bei der Patientenselektion sind die Indikationseinschränkungen dringend zu beachten.

Professor Kebschull wies mehrfach darauf hin, dass die Recallstunde aus mehr als nicht nur aus Instrumentierung und Scaling infizierter Sites besteht.

Anschließend nahm die Therapie des Stadiums IV einen prominenten Platz ein. Nicht nur der parodontale Aspekt, sondern das Zusammenwirken mit dem Prothetiker und dem Kieferorthopäden ist mitunter Schlüssel zur erfolgreichen Behandlung. Anschließend wurde der zunehmend wichtiger werdende Komplex der periimplantären Erkrankungen behandelt.

Herr Professor Kebschull schaffte es, aus einem Thema, welches von vielen als dröge und etwas trocken empfunden wird, einen hochspannenden Seminartag zu zaubern. Mit großer Freude haben wir auch die sehr positive Resonanz zu diesem Tag vernommen – es bestärkt uns, weitere Seminare in diesem Format zu erarbeiten.

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